Für Zusammenhalt

Die europäische Idee bleibt der bedeutendste politische und zivili-satorische Fortschritt des vergangenen Jahrhunderts: Freiheit, De-mokratie und Menschenrechte, wirtschaftliche Zusammenarbeit und politische Partnerschaft über nationale Grenzen hinweg. Ein lang anhaltender Frieden auf unserem von Jahrhunderten der Krie-ge erschütterten Kontinent. Die europäische Idee ist die Antwort auf die großen Aufgaben der Gegenwart und Zukunft.

Der Zusammenhalt Europas ist keine Selbstverständlichkeit. Er ist ein Erfolg der Frauen und Männer, die nach den grausamen Er-fahrungen der beiden Weltkriege, der nationalen Überhöhung und dem Schüren von Hass auf andere Länder und Menschen, den Mut und die Kraft gehabt haben, das Trennende zu überwinden und ge-meinsam an einem anderen, friedlichen und vereinigten Europa zu arbeiten. Auch die friedliche Revolution, an deren Ende die Wieder-vereinigung der beiden deutschen Staaten stand, war ein riesiger Schritt der europäischen Integration.

Doch der Zusammenhalt ist gefährdet. Grundpfeiler, die ihn stützen sind brüchig geworden: Im Zuge der Finanz- und Wirt-schaftskrise der vergangenen Jahre sind Zweifel am europäischen Wohlstandsversprechen gewachsen. Immer noch überwiegen die wirtschaftlichen Interessen der Konzerne zulasten der sozialen Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger. Zugleich scheint der globale Markt, gerade der Finanzmarkt, die politische Gestaltungs-macht von Staaten auszuhebeln. Und als in den vergangenen Jahren viele Schutzsuchende nach Europa kamen, ist es nicht ge-lungen, die eigenen Werte der Freiheit, Solidarität, der Humanität und des Schutzes in eine überzeugende gemeinsame Politik zu übersetzen.

Mittlerweile handeln einige Staaten der Europäischen Union immer unverhohlener im eklatanten Widerspruch zu den frei-I. EINLEITUNGI. Einleitung6heitlichen und demokratischen Grundprinzipien, die in den euro-päischen Verträgen verankert sind. Populisten, Rechte und neue Nationalisten stellen sich frontal gegen den europäischen Eini-gungsgedanken, wollen Europa schwächen und damit das Rad der Geschichte zurückdrehen. Das versuchen auch Feinde des europäi-schen Zusammenhalts außerhalb Europas für sich zu nutzen.Wichtiger als je zuvor sind darum heute Klarheit in der Überzeu-gung, Mut im politischen Handeln und die Bereitschaft, Europas Zusammenhalt und Einheit zu verteidigen und zu stärken. Sprach-losigkeit angesichts der Herausforderungen und die Visionslosigkeit einer reinen Sparpolitik sind keine Antworten auf die Zukunftsfra-gen Europas.

Wir brauchen Europa, um die großen Zukunftsaufgaben erfolg-reich zu bewältigen: Durch gemeinsame europäische Zukunfts-investitionen in unsere gemeinsamen öffentlichen Güter. Durch Schaffung echter sozialer Grundrechte mit fairen Regeln und star-ken Rechten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Ver-braucherschutzrechten, gerade auch in Zeiten der Digitalisierung und des ökologischen Wandels. Durch eine dem Frieden und der Abrüstung verpflichteten europäischen Außenpolitik. Durch eine Nachbarschaftspolitik, die den Staaten und Regionen südlich und östlich der EU faire Angebote zur Zusammenarbeit macht. Durch eine gemeinsame Flüchtlingspolitik, die Europas Werten der Frei-heit und Humanität entspricht.

Durch eine Politik, die es schafft, immer noch entfesselte Finanzmärkte zu bändigen. Durch eine Politik, die Steuerflucht bekämpft und alle in die Verantwortung für die Zukunft unserer Gesellschaft nimmt. Und durch eine Politik, die aus Verantwortung für die nachfolgenden Generationen den Klima- und Umweltschutz konsequent verstärkt. Wir verstehen die 17 Nachhaltigkeitsziele 2030 der Vereinten Nationen (SDG) als Leit-bild unseres euroapolitischen Handelns, weil nur so die aktuellen ökonomischen, ökologischen, sozialen und internationalen Politik-bereiche gemeinsam angegangen und gelöst werden können.7I. EinleitungWir wollen Impulse für mehr europäische Solidarität geben und die politische und soziale Integration Europas weiter vorantreiben. Ein starkes Europa liegt im ureigenen Interesse Deutschlands: Um wirtschaftliche Ungleichgewichte und soziale Ungleichheiten in Europa abzubauen. Um mehr Möglichkeiten für gesellschaftlichen Austausch zu schaffen, gerade für junge Menschen. Um die Demo-kratie und den europäischen Parlamentarismus zu stärken.

Wir sind bereit, in den Zusammenhalt Europas zu investieren, weil In-vestitionen in ein starkes Europa die beste Grundlage für eine gute Zukunft auch in Deutschland sind. Dafür brauchen wir jetzt Tempomacher, die bei immer mehr Pro-jekten mutig voranschreiten und die anderen Partnerinnen und Partner durch Erfolge überzeugen. In diesem Sinne wollen wir das in den Verträgen angelegte Prinzip der verstärkten Zusammen-arbeit konsequenter nutzen und weiterentwickeln. Es geht dabei nicht um die Verfestigung eines Kerneuropas. Denn die Tempo-macher sind keine geschlossene Gesellschaft, je nach Projekt kön-nen ganz unterschiedliche Gruppen zusammenfinden. Vor allem die Eurozone muss jetzt Tempo machen.

Wir wissen, unsere Vision eines starken Europas ist ehrgeizig, wir müssen Widerstände über-winden. Es gibt politische Kräfte, für die Europa nicht die Antwort ist, sondern die ihr Heil in der Rückkehr zu Egoismus und Nationa-lismus suchen. Wir laden alle ein, sich diesen Kräften entgegenzustellen und mit uns für ein Europa des Friedens, der Freiheit, der Gerechtigkeit, der Solidarität und der Demokratie zu streiten. Kommt zusammen! Es geht um viel. Gemeinsam machen wir Euro-pa besser -sozial, demokratisch und frei.